Die Geschichte des VfL Rheinhausen

Vorwort des Verfassers – Lothar Schröder

100 Jahre sind ein langer und in seiner Ereignisvielfalt nur schwer vorstellbarer Zeitraum, selbst wenn der Blick in die Vergangenheit auf das enge Umfeld des Vfl Rheinhausen begrenzt bleibt. Betrachtet man die Zeitspanne zwischen 1895 und 1995, so zeigt es sich, daß der Verein immer ein „Kind seiner Zeit“ war, mit all seinen Blütezeiten, aber auch kleineren und größeren Krisen. Angesichts jener wechselvollen Geschichte ist das nunmehr 100-jährige Bestehen des VfL Rheinhausen mehr als nur bemerkenswert. Diese Konituität ist zugleich ein Zeichen dafür, daß es der Verein in den zurückliegenden Jahrzehnten verstanden hat, alle Rückschläge erfolgreich zu meistern. Heute ist der VfL Rheinhausen als Großverein aus der Sportszene Duisburgs nicht mehr wegzudenken.

Seine Wiege stand in Oestrum, wo im Oktober des Jahres 1895 in der Gaststätte Kaisers, heute Jägerhof, 39 Männer den „Turnverein Oestrum“ gründeten. Es ist ein für den Duisburger Westen überaus bedeutungsvolles Ereignis, denn mit dem TV Oestrum beginnt überhaupt erst die Geschichte des Sports in Rheinhausen.

- Lothar Schröder schrieb die die Geschichte und Geschichten zu den ersten 100 Jahren des VfL Rheinhausen anläßlich des 100-jährigen Jubiläums des Vereins im Jahre 1995

Zugleich war der Verein von Beginn an ein Ort, an dem Menschen zusammenkamen, nicht allein zur Ausübung ihres Sports – traditionell war dies ausschließlich das Turnen -, sondern auch, um mit und in der Gemeinschaft die Freizeit zu verbringen und zu gestalten, wie etwa mit den legendären Aufführungen von Theaterstücken. Mit anderen Worten: Der VfL Rheinhausen, der sich aus den „Quellen“ insgesamt vierer Vereine speiste und 1971 aus der Fusion von TV Oestrum und Tura Bergheim hervorging, war und ist ein wesentlicher Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens seines Stadtteils. Dies will auch die hier vorliegende Chronik zum 100-jährigen Bestehen des Vereins dokumentieren. So finden neben den sportlichen Entwicklungen auch gesellschaftliche Aktivitäten des Vereins ausführliche Erwähnung. Denn die 100-jährige Geschichte des VfL Rheinhausens ist auch eine Sammlung von „Geschichten“ und Episoden, die von der Lebendigkeit des Vereins erzählen.

Die 100-jährige Geschichte des VfL Rheinhausen lückenlos wiederzugeben ist angesichts der zahlreichen Menschen, die diesen Verein geprägt haben, sowie der vielen Ereignisse, die sich seit 1895 im Umfeld des Vereins zugetragen haben, ein hoffnungsloses Unterfangen. Mit dieser kurzen Einführung ist daher auch die Bitte um Nachsicht verbunden, daß nicht jedes verdienstvolle Vereinsmitglied und nicht jedes Detail Eingang in die Chronik finden konnte. Abschließend möchte ich noch all jenen danken, die mich bei meinen Nachforschungen mit wertvollen Hinweisen und Anregungen unterstützt haben. Stellvertretend seien an dieser Stelle Karl W. Klobes und die Mitarbeiter des Duisburger Stadtarchivs genannt.


Die Gründung des TV Oestrum

Wer heute auf dem kleinen Platz an der Eichenstraße in Oestrum steht, kann ohne weiteres den Eindruck gewinnen, als sei hier das Rad der Zeit vor vielen Jahren ganz einfach angehalten worden:
Noch immer stehen hier die alten Grafschafter Gehöfte, die Gaststätte ,,Jägerhof“ und auf der kleinen Wegekreuzung – eingezäunt vom schmiedeeisernen Gitter – die alte Friedenseiche, die zwar von belgischen Besatzungssoldaten nach dem Ersten Weltkrieg gefällt wurde, deren Stamm aber wieder ausschlug. Daher erscheint das heutige Ortsbild fast wie eine unverfälschte historische Kulisse der Jahrhundertwende vom 19. ins 20. Jahrhundert.

Der Jägerhof auf der Eichenstraße mit der Friedenseiche im Vordergrund

Nicht viel anders dürfte das Ortsbild ausgesehen haben, als vor genau 100 Jahren an dieser Stelle der älteste Sportverein Rheinhausens, der Turnverein Oestrum, gegründet wurde. 39 Turnwillige hatten sich am 21. Oktober im ,Jägerhof“ (Kaiser) eingefunden, um einen Verein zu gründen, der – nach einigen Fusionen und um zahlreiche andere Sportarten erweitert – unter dem Namen VfL Rheinhausen noch heute Bestand hat.

Als Gründungsväter des Vereins durften sich an diesem denkwürdigen Tag Heinrich Alefs, Friedrich Banze, Dietrich Bäumken Johann Bäumken, Johann Bendmann, Dietrich Bister, Wilhelm Bovenschen, Michael Dams, Gottfried Daniels, Hermann Dunker, Heinrich Frütel, Friedrich Gores, Johann Isermann, Wilhelm lwen, Heinrich Kaiser, Jakob Kamann, Heinrich Kersken, Peter Kersken, Gottfried Keusemann, Heinrich Kimpel, Martin Komp, Friedrich Krölls, Jakob Krölls, Johann Krölls, Gerhard Kroppen, Wilhelm Maaßen, Wilhelm Neßbach, Friedrich Rosin, Johann Ruiters, Arnold Schefels, Johann Schlünken, Hermann Schmitz, Wilhelm Schrooten, August Spieß, Jakob Vox, Wilhelm Vox, Johann Wirtz und Wilhelm Zimmermann in die nunmehr 100 Jahre währende Geschichte des Vereins eintragen.

- Opa Wirtz - Ein Vorturner mit Mumm.

Noch vielen Oestrumer Sportlern in bester Erinnerung dürfte aus diesem Kreis der Vereinsgründer Johann Wirtz sein, der liebevoll und anerkennend Opa Wirtz“ genannt wurde und seinem Verein über 69 Jahre die Treue hielt. Am 6. März 1965 verstarb Johann Wirtz im Alter von 88 Jahren. Opa Wirtz war noch ein Turner der ganz alten Schule: Er galt als überaus gelenkig und besaß zudem den nötigen „Mumm“, um sich an den verschiedenen Geräten auszuzeichnen. Bei den Übungsstunden im Kaiser’schen Saale war er einer der eifrigsten und turnte mit Vorliebe am anspruchsvollen Pferd. Schon bald hatte er sich ein hohes Maß an turnerischem Können angeeignet, so daß er als einer der ersten beim TV Oestrum mit der verantwortungsvollen Aufgabe des Vorturners bedacht wurde.

Die Vereinsgründung von 1895, mit der zugleich der Anschluß an die 1868 gegründete Deutsche Turnerschaft (DT) beschlossen wurde, hatte für das noch ganz und gar dörflich geprägte Oestrum sicherlich den Stellenwert eines kleinen „gesellschaftlichen Ereignisses“, zumal zu dieser Zeit hier gerade einmal 916 Einwohner lebten. Zwar hatten seit 1884 Bergbau und Industrie im Moerser Raum Fuß gefaßt, doch ist die industrielle Entwicklung des Rheinhauser Siedlungsgebietes stärker verbunden mit dem Namen der Firma Friedrich Alfred Krupp. So verdichteten sich im Jahre 1895, also dem Gründungsjahr des TV Oestrum, die Gerüchte, Krupp wolle sich mit einem Hüttenwerk am Rhein niederlassen. Möglicherweise dürfte die damit verbundene Aussicht eines Bevölkerungsanstiegs auch die Pläne vorangetrieben haben, in Oestrum einen Turnverein aus der Taufe zu heben. Noch stärker aber wirkten zweifelsohne die sportlichen Vorbilder aus der Nachbarschaft: So hatten sich in Moers bereits 1850 und in Homberg 1878 Turnvereine gegründet. Und so waren es auch zwei Hornberger Turner, Teves und Aldenhoff, die in den Anfangsjahren tatkräftig Aufbauarbeit in Oestrum leisteten, in erster Linie auf sportlichem Gebiet als Vorturner.

Vorstandsmitglieder, Turner und Handballer mit der 4-F-Fahne vor dem Vereinslokal „Jägerhof“ von Fritz Schulz. Ganz rechts Vorsitzender Heinrich Bergmann (Foto aus den 30er Jahren).

Das genaue Gründungsdatum des TV Oestrum läßt sich hingegen nicht exakt bestimmen. Fest steht, daß es am besagten 21 . Oktober des Jahres 1895 zu der denkwürdigen Versammlung im Jägerhof kam. Doch schon am 19. Oktober erreicht das Homberger Bürgermeisteramt ein Schreiben, mit dem die Satzung des TV Oestrum „gehorsamst zur Vorlage gebracht“ wird, ,,in der Hoffnung, keine fehlbitte gethan zu haben.“ Und die Satzung selbst trägt den Vermerk: ,,gestiftet am 29. September 1895“.

Das Wort „gestiftet“ ist hier in seiner ursprünglichen Bedeutung im Sinne von „gründen“ und ,,ins Werk setzen“ zu lesen. Daß dabei nicht nur ein paar Vordenker die Satzung erarbeitet haben, sondern daß es zu diesem Zeitpunkt schon zu einer Gründung gekommen sein muß, belegt auch der Anhang der Satzung, in dem bereits der gesamte Vorstand mit Arnold Schefels an der Spitze namentlich aufgeführt wird. Die Oestrumer Turner hatten sehr genaue Vorstellungen von dem, was ihr neuer Verein zu leisten hatte. So heißt es gleich im ersten Paragraphen der Satzung:

- §1 der Satzung: Der Zweck des Vereins ist Kräftigung und Veredelung des Bürgers und des Geistes durch Ausbildung in nützlichen körperlichen Besserungen und Zuneigung der vorzüglichen geistigen Eigenschaften der Turner im Sinne des Wahlgrußes: „Frisch, fromm, fröhlich, frei!“

„Der Zweck des Vereins ist Kräftigung und Veredelung des Bürgers und des Geistes durch Ausbildung in nützlichen körperlichen Besserungen und Zuneigung der vorzüglichen geistigen Eigenschaften der Turner im Sinne des Wahlgrußes:

 

„Frisch, fromm, fröhlich, frei!“

 

ferner Wirken für allgemeine Verbreitung turnerischer Übungen. „Hier wehte noch kräftig der Geist von Friedrich Ludwig Jahn, besser bekannt als „Turnvater Jahn“.

Seinen Idealen fühlten sich die Oestrumer verpflichtet, was sie auch unmißverständlich mit der „4-F-Fahne“ ,,Frisch, fromm, fröhlich, frei“ – zum Ausdruck brachten. Jahn sah in den turnerischen Übungen eine Kräftigung der Jugend zur Verteidigung des Vaterlandes, einen Zweck, an den im Oestrumer Turnverein noch bei den in der Anfangszeit jährlich stattfindenden „Rekrutenabschiedsfeiern“ nachdrücklich erinnert wurde.

Deutlich zu spüren ist dies aber auch noch in der strengen Turnordnung des Vereins, die heutzutage eher an einen Kasernenhof als an einen Sportplatz denken läßt: „Jeder Turner hat die vorgemachte Übung nachzumachen, wenigstens zu versuchen, und darf nicht geflissentlich Änderungen daran vornehmen. Er tritt darauf in seine Stelle ins Glied zurück.“ Doch auch an Sicherheitsmaßnahmen bei der Ausübung ihres Sports dachten die Gründer des TV Oestrums, für Turner und Zuschauer gleichermaßen. So durfte niemand an einem Gerät turnen, „was er nicht im Stand oder Sprung erreichen kann“, während Schaulustige „nur in gehöriger Entfernung von den Geräten und Übungsplätzen sich aufhalten und nicht zu den Riegen herantreten“ durften.

Der TV Oestrum war als erster Verein im Rheinhauser Raum Wegbereiter des Sports für unseren Stadtteil. Daß der Turnsport aber auch generell eine noch junge Bewegung war, wird eindrucksvoll in der Mitgliederstruktur des Vereins dieser Anfangsjahre deutlich. So kann aus heutiger Sicht das Durchschnittsalter der Oestrumer Turnbegeisterten nur verwundern: Nach einer Liste aus dem Jahre 1896 waren 32 der insgesamt 45 Mitglieder nicht älter als 25 Jahre, 14 von ihnen zählten dabei nicht einmal 20 Jahre. Erstaunlich auch das Alter der Vorstandsmitglieder: Im Gründungsjahr war der Erste Vorsitzende Arnold Schefels 24 Jahre und sein Stellvertreter Johann Bendmann nur 19 Jahre alt. Kein Mitglied des Vorstandes war älter als 24 Jahre, bis auf eine Ausnahme, für die sich wiederum eine plausible Erklärung finden läßt. Denn der 36jährige „Oldtimer“ des Vorstandes, Heinrich Kaiser, bekleidete immerhin das Amt des „Geldwartes“, wozu es nach Meinung der Oestrumer ganz offensichtlich einer gewissen Erfahrung und Weisheit bedurfte.

- Turnordnung: Jeder Turner hat die vorgemachte Übung nachzumachen, wenigstens zu versuchen, und darf nicht geflissentlich Änderungen daran vornehmen. Er tritt darauf in seine Stelle ins Glied zurück.

Neben den ersten sportlichen Aktivitäten, die mit Ehrgeiz und Erfolg im Saale der Gaststätte Kaisers betrieben wurden – schon bald schmückten die errungenen Siegerkränze die ganze Rückwand des Turnsaales-, nahmen von Beginn an auch Festivitäten einen hohen Stellenwert im Verein ein. Zu den regelmäßigen Veranstaltungen zählten die Stiftungsfeste, Abschiedsfeste für „die zum Militär scheidenden Genossen“ mit einem „geschlossenen Tanzkränzchen“ und turnerischen Aufführungen, sowie Winterfeste. Ein großes „Wett-Turnen“ stand bereits im Mai 1898 auf dem Programm, an dem, wie es der offiziellen Anmeldung beim Bürgermeisteramt zu entnehmen ist, unter anderem Vereine aus Homberg, Essenberg, Moers, Orsoy und Baerl teilnahmen. Trotz der vielfachen Aktivitäten wuchs der Verein in den ersten Jahren jedoch nur unwesentlich. So zählte der TV Oestrum im Jahr des großen Wett-Turnens nur 51 Mitglieder, also gerade einmal sechs Turner mehr als im Jahre 1896.

Als ein erster Höhepunkt im Vereinsleben des TV Oestrum darf sicherlich das große Stiftungsfest zum 15 jährigen Bestehen des Vereins angesehen werden. Verbunden wurde das Jubiläum mit einem „volkstümlichen Bezirks-Wetturnen“, das am 18. und 19. Juni des Jahres 1910 „im Lokale des Genossen H. Pauels“ und auf dem Festplatze ausgetragen wurde. Bei den unterschiedlichen Wettkämpfen standen turnerische Übungen eher im Hintergrund, wie es im Festprogramm nachzulesen ist: Disziplinen wie Steinstoßen, Kugelstoßen, Hürdenlaufen, DreiballLaufen und Tauziehen wurde den Besuchern geboten. Einen fröhlichen Ausklang fand dieses erste große Stiftungsfest des TV Oestrum mit einem Festball.

Ein Bild aus Ur-Urgroßvaters Zeiten (1895). Die „Pioniere“ der Oestrumer Turner drapieren sich für den Fotografen malerisch in die Landschaft. Im Hintergrund ist vor ihrem Vereinslokal „Jägerhof“ die bekannte Oestrumer Friedenseiche zu erkennen, noch recht klein und jung im Jahre 1895.
Die Eiche wurde nach dem deutsch-französischen Krieg 1870 / 71 gepflanzt. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde sie von den belgischen Besatzungssoldaten abgeschlagen, trieb jedoch wieder aus und ist heute wieder ein stattlicher Baum. Die Oestrumer Dorfstraße = Eichenstraße.

Eine erste größere Unterbrechung in der Entwicklung des Vereins gab es dann ab dem Jahre 1914, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Daß Turnvereine auch zu dieser Zeit noch als eine Art Vorübung für den militärischen Dienst angesehen wurden, zeigte sich jetzt auch beim TV Oestrum. So behandelt die Hauptversammlung des Vereins am 2. September 1914 – also einen Monat nach Kriegsausbruch – als einzigen Tagesordnungspunkt das Thema der „Kriegsunterstützung“. In den folgenden Monaten wurden immer mehr Vereinsmitglieder zum Militär eingezogen. Zwar versuchten die Oestrumer die sportlichen Aktivitäten zunächst wenigstens noch mit dem Nachwuchs aufrechtzuerhalten, doch war es nur eine Notlösung. Im Laufe des Krieges mußten nahezu alle aktiven Turner in den Krieg ziehen, so daß der Turnbetrieb schließlich ganz zum Erliegen kam.

Von den Oestrumer Turnern, die zwischen 1914 und 1918 in den Krieg zogen, fanden 14 den Tod.


Die Frauen kommen!

Es mag eine Art Omen gewesen sein, daß ausgerechnet im Jahr der Vereinsgründung des TV Oestrum das Frauenturnen in der Deutschen Turnerschaft aufgenommen wurde. Denn 1924 macht sich eine Bergheimer Lehrerin auf, das Frauenturnen auch beim TV Oestrum zu einer festen Größe werden zu lassen.

Es ist die Turnlehrerin Anni Senneberg, die – unterstützt von ihrem Lehrerkollegen und späterem Vereinsvorsitzenden Heinrich Bergmann – sich dem Verein anschloß und eine Abteilung für Turnerinnen ins Leben rief. Für den Aufbau der neuen Abteilung war es überaus hilfreich, daß sie an der Pickertschule Sport unterrichtete und bei vielen Kindern der Oestrumer Volksschule für den Sport und damit selbstverständlich auch für den Verein werben konnte.

Bildlegende: Dieses freundliche Team fand stets begeisterte Begleiter (Foto 1931). Kniend (von links nach rechts): Anneliese Kroppen, Käthe Alefs, Käthe Kreusemann, Gunda Kaisers, Grete Krölls.
Stehend (von links nach rechts): Johann Kreusemann (Begleiter), Grete Kreusemann, Elisabeth Klöbest, Olga Backes, Waltraud Lehmann, dahinter stehend: Trainer Gerd Bovenschen, Gertrud Alefs, Mia Harting und Fritz Schefels (Begleiter).

Mit der Einführung des Frauenturnens wurde damit der Grundstein gelegt für unsere Aktivitäten im Damensport. So ging Anfang der 1930er Jahre wiederum aus der Turnabteilung eine Damenhandballmannschaft hervor, die erste überhaupt in ganz Rheinhausen. Schon nachwürzet Zeit besaß sie den Ruf einer ungemein spielstarken Mannschaft, die in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg in der Kreis- und Bezirksklasse um Punkte rang. Gespielt wurde übrigens auch im Damenhandball auf dem Großfeld.

Anders als beim Aufbau einer Frauenturnabteilung waren es diesmal männliche Vereinsmitglieder, die sich der Handballerinnen annahmen. Einen wesentlichen Anteil daran hatten Gerd Bovenschen als Trainer sowie Johann Kreusemann als Mannschaftsbetreuer.

- Grethe Benninghoff: Ich habe mir auf dem Spielfeld längst nicht alles gefallen lassen!

Dass die Oestrumer Handballdamen sich auf dem Spielfeld durchzusetzen wußten, darüber gibt eine kleine Episode Auskunft, an die sich Grethe Benninghoff noch gerne erinnert. Sie spielte in der Mannschaft als Verteidigerin und dies mit entsprechendem Kampfgeist. Als ihr eine Gegnerin vom TV Kamp-Lintfort während des Spiels einen ordentlichen Tritt in den Hinternverpasste, da musste Grethe Benninghoff nicht lange überlegen und revanchierte sich auf gleiche Weise. „Ich habe mir auf dem Spielfeld längst nicht alles gefallen lassen“, erklärt sie ihren ungewöhnlichen Einsatz, der im Spiel keine weiteren Konsequenzen nach sich zog. Denn dem Schiedsrichter, darauf hatte die mit allen Wassern gewaschene Verteidigerin im Eifer des Gefechts sehr wohl geachtet, blieb dieser „Austausch von Frau zu Frau“ verborgen.


Oestrumer und Bergheimer „Turn-Theater“

Wie gesellig es im Verein auch außerhalb des Sportgeschehens zuging, zeigt eine Unternehmung, die heutzutage in Sportvereinen fast undenkbar ist: die Theatergruppe des TV Oestrum.

In den Jahren 1931 bis 1933 fand sich eine Gruppe von Vereinsmitgliedern, die Stücke inszenierte und diese mit großem Erfolg zur Aufführung brachte. So waren die Vorstellungen von „Der Hölle von Marokko entronnen“ (1931 ), ,,Der Schmied von Ruhla“ (1932) und „Deutsche Frauen – Deutsche Treue“ (1933) immer ausverkauft und mußten jeweils ein zweites Mal aufgeführt werden.

Unsere Theatergruppe nach einer Vorführung im Jahre 1932

,,Für uns Dorfler war das Theaterspielen natürlich sehr interessant“, erinnert sich Grete Neu, die zum „Ensemble“ der Laienschaupieler beim TV Oestrum gehörte. Theater in Oestrum – das war etwas Neues und Unbekanntes. Und so mußte Grete Neu damals als junges Mädchen bei ihren Eltern sämtliche Überredungskünste aufbieten, um die Erlaubnis zu bekommen, im „ Turn-Theater“ mitwirken zu dürfen.

Die Oestrumer Schauspieltruppe verstand es, die individuellen Fähigkeiten der Mitglieder für ihre Theaterpläne zu nutzen: Der Friseur Dietz Alefs war für den Bereich der „Maske“ zuständig, während Willi lwen als gelernter Schneider und Mitarbeiter beim Duisburger Stadttheater für die Kostüme sorgte. Und die Kulissen wurden mit viel Aufwand eigenhändig gezimmert. Nun fehlte nur noch ein geeigneter Aufführungsort, der in der Gaststätte von Pauels ausfindig gemacht werden konnte. Obwohl die Gaststätte nicht das Vereinslokal des TV Oestrum war, wurden hier alle drei Stücke gespielt, da die große Bühne der Inszenierung viele Möglichkeiten bot. In der Theatergruppe, die leider nur drei Jahre Bestand hatte, wirkten unter anderem Dietz Alefs, Gerd Bovenschen, Gerd Frütel, Walter Keusemann, Hans und Grete Neu, Jakob Paschmann und Heinrich Spieß mit.

- Volksbühne Bergheim zeigte Operetten wie: Winzer Liese! und Der Wilddieb!

Auch im kulturellen Bereich wollten die Sportler des Tura Bergheim ihrem Nachbarn aus Oestrum nicht nachstehen. Und so begannen Anfang der 30er Jahre auch die Bergheimer mit dem Theaterspielen. Unter dem Namen „Volksbühne Bergheim“ wurden hier bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zahlreiche Stücke gespielt, darunter so aufwendige Inszenierungen wie die Operette „Winzer Liese!“ und „Der Wilddieb“. Die Bergheimer Volksbühne konnte sich schon bald mit ihren Theaterstücken einen wohlklingenden Namen erwerben und ging mit ihren Stücken sogar auf „Tournee“. So gastierten die Laienschauspieler mit einer Aufführung unter anderem in Holderberg.

Die „theatralische Neigung“ beider Turnvereine erscheint heute als Kuriosität, doch wird daran auch deutlich, welche große Bedeutung die Sportvereine dieser Jahre auch für das gesellschaftliche Leben spielten.


Die erfolgreichen 20er und 30er Jahre

Gegen Ende der 20er und zu Beginn der 30er Jahre hatten die beiden Vereine von TV Oestrum und TuRa Bergheim ihre erste große Blütezeit. Das Vereinsleben erlebte einen immensen Aufschwung, was sich auch in den sportlichen Erfolgen niederschlug.

Bestes Beispiel hierfür sind neben den Handballmannschaften beider Vereine auch die beachtlichen Erfolge der Bergheimer Fußballer: So eilte die 1. Fußballmannschaft unter ihrem Spielführer Heinrich Müller von Sieg zu Sieg und schaffte innerhalb von nur fünf Jahren den Aufstieg von der untersten Klasse bis in die Bezirksklasse, ehe es nach 1933 zu einer Neueinteilung der Spielklassen kam. Insbesondere für TuRa Bergheim wurde der Aufschwung des Vereins auch zu einem Problem. Denn durch den immer größer werdenden Spielbetrieb drohte die alte Sportanlage von der Zeche Mevissen mit der Zeit aus allen Nähten zu platzen. Aus diesem Grund begab sich der Vorstand Ende der 20er Jahre auf die Suche nach einer neuen und vor allen Dingen größeren Vereinsanlage. Fündig wurde man schließlich an der Moerser Straße, obgleich das Grundstück eher einem verwilderten Sumpfgelände glich. Doch wählerisch durften die Bergheimer Sportler nicht sein, und so wurde das Gelände der Familien Schrooten und Peschmann gepachtet und mit großem Arbeitseinsatz zu einem Sportplatz ausgebaut. Zunächst mußten sich TuRa-Sportler als Holzfäller betätigen und hier ein kleines Wäldchen roden, ehe die Fläche in mühevoller Arbeit geebnet werden konnte. Schließlich wurden Schienen zur Moerser Straße verlegt, auf denen Loren der Zeche die rote Asche herbeischafften. Schon im August des Jahres 1930 konnte die neue Anlage feierlich einge-weiht werden. Da die Umkleideräume erst nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurden, dienten in diesen Jahren die Kellerräume der nahegelegenen Gaststätte Bendmann als Ausweichquartier. Stellvertretend für die zahlreichen Mitglieder, die sich mit großem Engagement in diesen Jahren für ihren Verein einsetzten, seien an dieser Stelle Peter Maaßen und WilhelmViethen genannt, die zehn beziehungsweise zwölf Jahre lang als Vorsitzende des TuRa Bergheim die Geschicke des Vereins lenkten und das Vereinsleben entscheidend zu prägen wußten.

1. Fußballmannschaft 1919/20

Einen ganz wesentlichen Anteil an dieser positiven Entwicklung des Oestrumer Sports hatte die Fusion der Turnvereine von 1895 und der TV Rheineiche im Jahre 1928. Neben der erheblichen Steigerung der Spielstärke im Bereich des Handballs -so wurde die 1. Mannschaft des fusionierten Oestrumer Turnvereins Kreismeister und scheiterte in der Niederrheinmeisterschaft des DT erst am späteren Deutschen Meister TV Oppum -zog der Zusammenschluß auch einen allgemeinen Aufschwung des gesamten Vereinslebens nach sich, wovon unter anderem das bereits erwähnte Turntheater zeugt. 

Teilnehmer am Landesturnfest 1934 in Aachen

Um deutlich zu machen, daß der Ursprung dieses neuen Vereins zwei Wurzeln hatte -der TV Oestrum 1895 und der TV Rheineiche -gab man sich den Namen „Turnvereinigung Oestrum“. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, daß die aus dem TV Rheineiche stammenden Sportler sich empörten, als 1938 wieder der ursprüngliche Name des „TV Oestrum 1895″ angenommen wurde. Schließlich erinnerte dieser Vereinsname nur noch an den TV Oestrum und nicht mehr an den TV Rheineiche. Die Fusion von 1928 brachte zugleich auch Farbe aufs Spielfeld: Neben der traditionellen Spielkleidung des TV Oestrum -bestehend aus schwarzen Hosen, schwarzen Stulpen und weißen Trikots mit schwarzen Kragen -wurden jetzt auch blau-gelbe Trikots eingeführt. Unter dem Vorsitz von Gerhard Keusemann und ab 1929 von Heinrich Bergmann entwickelte sich der Verein prächtig. Allein bei den Rheinhauser Jugendwettkämpfen konnte der Wanderpreis für die beste Gesamtleistung drei Jahre in Folge nach Oestrum geholt werden. Auch die Turner machten wieder von sich Reden und stellten ihr Können unter anderem bei den grossen Turnfesten in Köln, Stuttgart, Breslau, Aachen und Coburg unter Beweis. Eine Leitfigur der Oestrumer Turner war in diesen Jahren Willi Benninghoff, der als Wehrmachtssoldat Mitte der 30er Jahre die einzigartige Gelegenheit hatte, vier Wochen in der Sportschule Berlin zusammen mit dem Turn-Kader der deutschen Olympia-Mannschaft für Berlin trainieren zu dürfen. Begünstigt wurde die Entwicklung im Turnen mit der neuen Sporthalle der Schule an der Lange Straße, mit der den Oestrumern erstmals eine feste Turnstätte zur Verfügung stand.


Sport unterm Hakenkreuz

Als am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum neuen Reichskanzler gewählt wurde und die Nationalsozialisten in den darauffolgenden Monaten der Weimarer Republik ein Ende bereiteten, wurde schnell deutlich, wie engmaschig das System der NS-Diktatur Deutschland umfaßte. Nicht verschont blieb auch der Sport, der insbesondere für die Propaganda der Nazis nützlich war, wie es auch die Inszenierung der Olympischen Spiele 1936 in Berlin zeigte.

Wenngleich in den ersten Jahren des sogenannten Dritten Reiches die Struktur des althergebrachten Vereinswesens selbst kaum verändert wurde, so waren doch die Gleichschaltungs-bestrebungen der Nazis auch im Bereich des Sports unverkennbar. 

Dazu gehörte unter anderem die Auflösung der einzelnen Sportverbände: Bereits 1933 wurde der Deutsche Arbeiter-Turn- und Sportbund aufgelöst, 1934 folgten der Katholische Sportverband und die Deutsche Jugendkraft. Die Eigenständigkeit dieser Verbände war nicht vereinbar mit jener NS-Ideologie, deren Ziel es war, ,,das vielfach planlose Nebeneinander von sportlichen Organisationen und Einrichtungen zu beseitigen und eine straffe Zusammenfassung der Turn- und Sportverbände durchzuführen“, wie es die damaligen Machthaber unmißverständlich erklärten. Der Allgemeine Deutsche Turnerbund (ADT) wurde der Deutschen Turnerschaft (DT) angeschlossen und zusammen mit den noch verbliebenen Verbänden 1934 organisatorisch dem „Reichsbund für Leibesübungen“ unterstellt. 

- Sportvereine waren den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Daher hatten sie das Ziel: Das vielfach planlose Nebeneinander von sportlichen Organisationen und Einrichtungen zu beseitigen und eine straffe Zusammenfassung der Turn- und Sportverbände durchzuführen

Die Zentralisierung des Sports hatte vor allen Dingen den Sinn, vormals selbständige Organisationen in die Struktur des nationalsozialistischen Systems einzubinden und die einzelnen Vereine auf diese Weise besser kontrollieren und überwachen zu können. Daß den Machthabern mißliebige Vereine dies alsbald zu spüren bekamen, läßt sich in der hiesigen Sportszene verfolgen schließlich war Rheinhausen für die Nationalsozialisten keine unbedeutende Ortschaft: Neben der kriegswichtigen Industrie eignete sich Rheinhausen ganz besonders für die Propaganda der nationalsozialistischen Bewegung, mit der Verleihung der Stadtrechte 1934 wurde Rheinhausen die zweifelhafte Ehre zuteil, jüngste Stadt im „Dritten Reich“ zu sein, was mit großem Aufwand gefeiert wurde. Als derTurnerbund 05 Rheinhausen, der der Arbeitersportbewegung entstammte, sich weigerte, dem „Reichsbund für Leibesübungen“ beizutreten und damit der sportlichen Gleichschaltung zu folgen, fiel der Verein -wie auch der Kraftsportverein Hochemmerich -, der Zwangsauflösung zum Opfer. Zahlreichen Turnerbund-Mitgliedern, die weiterhin ihren Sport ausüben wollten, blieb nichts anderes übrig, als sich anderen Vereinen in Rheinhausen anzuschließen. So beispielsweise der sehr erfolgreiche Turner Rudi Elsen, der zum TV Oestrum wechselte. Natürlich wirkte der Einfluß des Nationalsozialismus auf die Vereine nicht allein durch anonyme Strukturen, sondern auch innerhalb des Vereins durch einzelne Mitglieder. Auch beim TV Oestrum wurde die politische Entwicklung unmittelbar spür-bar: DieTurnlehrerin Anni Senneberg, die 1924 maß-geblichen Anteil an der Gründung einer Turnerin-nen-Abteilung hatte und diese in den nachfolgen-den Jahren nach Kräften förderte, warb nun vehement für den „Bund Deutscher Mädel“ (BDM), einer NS-Organisation innerhalb der Hitler-Jugend. Neben Sport-und Freizeitaktivitäten waren weltanschauliche Schulungsabende, bei denen national-sozialistische Rassenkunde und die Geschichte der NSDAP gelehrt wurden, wesentlicher Bestandteil des BDM-Programms. Ein Großteil der Oestrumer Turnerinnen weigerte sich jedoch, der Rheinhauser BDM-Ortsgruppe beizutreten, was der Verein zu spüren bekam: So wurde den Oestrumer Turnerinnen ein Trainingsabend kurzerhand ersatzlos gestrichen, an dem fortan die bereits bestehende BDM-Ortsgruppe die Sporthalle an der Lange Straße benutzen durfte. Ein anderes Beispiel gibt der langjährige Vorsitzende Heinrich Bergmann, der innerhalb der Rheinhauser NSDAP eine Führungsposition einnahm und wegen seiner politischen Aktivitäten von den Alliierten nach Kriegsende für mehrere Jahre in Recklinghausen inhaftiert wurde. Diese Beispiele sollen anschaulich machen, wie umfassend der Nationalsozialismus sich Zugang zu allen Lebensbereichen verschaffte und dabei auch vor Sportvereinen keinesfalls halt machte.  

Sport unterm Hakenkreuz: Die Trikots machen es anschaulich.

Die folgenden Jahre lähmten die Vereinsaktivitäten imrner stärker, bis der Zweite Weltkrieg schließlich das Vereinsleben vollständig zum Erliegen brachte. Insbesondere in den letzten Jahren des Krieges war an eine Ausübung des Sportes angesichts der stetig schlechter werdenden Versorgungslage und der tagtäglichen Bedrohung durch Bombenangriffe nicht mehr zu denken. Als der Krieg im Mai des Jahres 1945 endlich sein Ende fand und viele Städte in Schutt und Asche lagen, gab es zahlreiche Tote zu beklagen: Allein 68 Vereinsmitglieder des TV Oestrum und des TuRa Bergheim kehrten aus dem Krieg nicht mehr zurück. Das „Dritte Reich“ der Nationalsozialisten hatte einen Trümmerhaufen hinterlassen, in politischer, gesellschaftlicher und moralischer Hinsicht. In Anbetracht der schweren existentiellen Not der Bevölkerung war das Interesse am Sport verständlicherweise ganz und gar in den Hintergrund getreten. Hinzu kam, daß neben der nahezu vollständigen Auflösung der alten und gewachsenen Vereinsstrukturen auch die Rahmenbedingungen für die Existenz der Vereine vorerst nicht gegeben waren. So hatten die Alliierten unmittelbar nach Kriegsende ein allgemeines Vereins- und Versammlungsverbot erlassen, das natürlich auch für Sportvereine galt, zumal diese Bereiche als ein nicht unwesentliches Instrument der nationalsozialistischen Ideologie angesehen wurden. 

Zudem waren die einstigen Sportstätten zum Teil stark in Mitleidenschaft gezogen. Am härtesten traf es hierbei den TV Oestrum: Der Sportplatz an der Eichenstraße glich einem großen Schlachtfeld, auf dem sich Bombentrichter an Bombentrichter reihte. Die Handballtore hatten Verwendung als Brennholz gefunden ebenso wie die großen Holztore zur Platzanlage. Eine „Stunde Null“ ihres Sports erlebten auch die Oestrumer Turner. Zwar hatten sie bei Ausbruch des Krieges vorsorglich ihre Turngeräte aus der Sporthalle an der Lange Straße in den Saal des Vereinslokals „Jägerhof“ und zu einem nahegelegenen Bauernhof geschafft, doch erwiesen sich beide Vorsichtsmaßnahmen im nachhinein als falsch. Denn während die Bergheimer Sporthalle den Krieg nahezu ohne größeren Schaden überstand, wurde der Bauernhof von Bomben völlig zerstört und im ,,Jägerhof“ hatten Fremdarbeiter die noch übriggebliebenen Gerätschaften für eigene Zwecke demontiert oder zerstört. Glück im Unglück hatte hingegen der TuRa Bergheim: Seine erst 1930 feierlich eingeweihte Platzanlage an der Moerser Straße war von den Zerstörungen des Krieges nahezu verschont geblieben.


Die Jahre des sportlichen Wiederaufbaus in Oestrum und Bergheim

Trotz der widrigen Verhältnisse in der unmittelbaren Nachkriegszeit, die eine Ausübung des Sports zunächst unmöglich erscheinen ließen, gab es bald erste Bemühungen, die Vereinsgemeinschaften wieder ins Leben zu rufen. Schließlich hatte sich in den Anfangsjahren des Rheinhauser Sports gezeigt, wie wichtig Sportvereine auch für ein gesellschaftliches Miteinander sein konnten und welche Impulse aus ihnen hervorgingen.

Wiedergründungen alterVereine beziehungsweise Gründungen neuerVereine waren allein mit Genehmigung der Besatzungsmächte möglich. Um, neben dieser Kontrolle durch die Alliierten, einer künftigen Zentralisierung und vor allen Dingen Politisierung des Sports vorzubeugen, war in den westlichen Besatzungszonen der Sport zunächst nur auf Landesebene organisiert.

Der Zufall wollte es, daß ausgerechnet im Jahre der „Stunde Null“ das Jubiläum zum 50jährigen Bestehen des TV Oestrum anstand. An eine große Feier war verständlicherweise nicht zu denken. So war es in gewisser Weise eher von symbolischer Bedeutung, daß zum Neubeginn rund 20 aus dem Krieg heimgekehrte Vereinsmitglieder sich an jenem in der alten Gaststätte „Jägerhof“ zusammenfanden, an dem an gleicher Stelle vor genau 50 Jahren der TV Oestrum aus der Taufe gehoben wurde.

Zu ihnen, die wiederum Männer der „ersten Stunde“ waren, gehörten Willi Benninghoff, Jakob Bruckschen, Johann Frütel, Gerhard Keusemann, Karl W. Klobes, Emil Schackert, Johann Schefels, Alfred Schiller und Änne Zahn. Dies war zugleich jener Kreis, der in den nachfolgenden Jahren erfolgreich den Verein anführte.

Beim Treffen am Gründungstag konnten noch keine Ziele für die Zukunft des Oestrumer Turnvereins gesteckt werden, da das Ende des Krieges gerade einmal fünf Monate zurücklag. Aber diese Zusammenkunft war eine unmißverständliche Willenserklärung, dort wieder zu beginnen, wo der Sport in Oestrum vor 1933 gestanden hatte. Schon im darauffolgenden Jahr konnte im Vereinslokal „Jägerhof“ eine Generalversammlung einberufen werden, die Johann Schefels zu ihrem Vorsitzenden, Jakob Brucksehen zu dessen Stellvertreter und Gerhard Keusemann zum Geschäftsführer wählte. Die Zukunft der Handballer wurde in die Hände von Karl W. Klobes gelegt. Daß es sich hierbei keineswegs um einen provisorischen Vorstand handelte, zeigte sich in den nachfolgenden Jahren, in denen dieses „Oestrumer Quartett“ das Vereinsleben entscheidend prägte. Abgelöst wurde Johann Schefels dann von Jakob Bruckschen, der in den 20er Jahren als erster Spielwart der Handballabteilung zu einem Pionier dieser Sportart in Oestrum geworden war und nun für viele Jahre den Vereinsvorsitz führte, ehe er aus gesundheitlichen Gründen 1958 nicht mehr kandidierte. Für seine zahlreichen Verdienste wurde Bruckschen, der im Verein den Spitznamen „Köb“ trug, auch zum Ehrenvorsitzenden ernannt. Am 15. Juni 1962 verstarb Jakob Bruckschen. Seine Nachfolge als Vorsitzender trat Gerhard Keusemann an, der in den 60er Jahren wiederum vom ersten Nachkriegsvorsitzenden Johann Schefels abgelöst wurde. Auch dies ist ein Zeichen für die Kontinuität innerhalb der Vereinsführung und für die Einsatzbereitschaft jener Männer, die im Oktober 1945 den traditionsreichen Verein wieder ins Leben riefen.

Platzanlage mit Umkleideräumen

Um in der unmittelbaren Nachkriegszeit auch sportlich wieder aktiv werden zu können, galt es zunächst, den Sportplatz an der Eichenstraße wieder herzurichten. Wie 15 Jahre zuvor die Mitglieder des TuRa Bergheim ihren Platz in Eigenleistung schufen, so griffe nun die Oestrumer zu Hacke und Spaten und liegen gewissermaßen in „Handarbeit“ aus dem „Trichterfeld“ erneut einen Sportplatz entstehen. Tore wurden aufgestellt und die Spieler der ersten Handballmannschaft mit umgearbeiteten Unterhemden ausgestattet, die als Trikots dienten.

Es gab viel zu tun in diesen Jahren, denn alle Abteilungen mußten von Grund auf wieder formiert werden. So hatte der Krieg auch einen Schlußstrich unter die sehr erfolgreiche Jugendarbeit im Handball gezogen. Im Mittelpunkt des Wiederaufbaus stand daher beim TV Oestrum die Arbeit mit dem Nachwuchs. Der Erfolg in der Jugendarbeit ließ nicht lange auf sich warten und sorgte zugleich für einen kräftigen Aufschwung des gesamten Vereins. Bereits Ende der 40er Jahren spielten nicht weniger als 15 Handballmannschaften in den Farben des TV Oestrum. Und es mag kaum verwundern, daß neben drei Seniorenmannschaften und einer Damenmannschaft auch eine Mädchen- und eine Schülerinnenmannschaft sowie drei Jugend- und sechs Schülermannschaften um Tore und Punkte spielten . Angesichts dieser Entwicklung stellten sich bald auch sportliche Erfolge ein: Die erste Herrenmannschaft stieg in die Bezirksklasse auf, während die handballaktiven Damen Kreismeister wurden und im Endspiel um den Niederrhein-Pokal mit 2:3 nur denkbar knapp dem späteren Deutschen Meister im Damen-Handball, dem RSV Mülheim unterlagen.

Auch für den TuRa Bergheim waren die Jahre des Wiederaufbaus wörtlich zu verstehen: Zwar hatte der Sportplatz in den Kriegsjahren keinen nennenswerten Schaden genommen, doch wurde bald der Wunsch nach einem Ausbau der Anlage laut. Vorangetrieben wurden diese Pläne vom damaligen Landrat Hugo Simecek, der 1950 und ’51 zugleich Vereinsvorsitzender in Bergheim war. In dieser wirtschaftlich noch alles andere als gefestigten Zeit kam den TuRa-Sportlern erneut die gute Beziehung zur Zeche Diergardt-Mevissen zugute, die den Verein bei ihrem Ausbauvorhaben finanziell großzügig unterstützte. So konnte bereits 1949 im ersten Bauabschnitt mit der Errichtung von Kassenhäuschen, Zuschauerrängen, Umkleide- und Duschräumen sowie einer Platzumrandung begonnen werden. Doch alles lief dabei nicht nach Plan: Nachdem sowohl die Zuschauerränge als auch die Umrandung des Sportplatzes  in Eigenarbeit nach vergleichsweise kurzer Bauzeit fertiggestellt werden konnten, blieben die Arbeiten an den Umkleideräumen im Rohbau stecken. Der Grund für diesen plötzlichen und unvorhergesehenen Baustopp war ein tragisches Ereignis, das die Bevölkerung Rheinhausen erschütterte: Am frühen Morgen des 14. Juni 1951 waren durch einen Kurzschluss die Holzeinbauten im Schacht Diergardt I in Brand geraten, bei dem ein Schaden in Millionenhöhe entstand und die Förderung der Kohle für Monate unmöglich machte. Zwischenzeitlich wurde gar angenommen, daß der Diergardt-Schacht durch diesen Unfall, bei dem ein Bergmann ums Leben kam, für immer „tot“ sei. Angesichts dieses Unglücks war es verständlich, daß die Unterstützung der Zeche für den Ausbau zunächst eingestellt wurde. Die noch ausstehenden Innenarbeiten der Umkleideräume kamen daher nur langsam voran und konnten erst zum Jahresende 1952 fertiggestellt werden. Doch allzu lange konnte sich TuRa Bergheim seines neuen Platzes nicht erfreuen. Denn kaum waren die Ausbauarbeiten abgeschlossen, da meldete sich der Besitzer des Grundstückes, der vorgab, das Gelände für den Bau von Siedlungen nutzen zu wollen und daher vom Verein eine weitaus höhere Pacht verlangte. Immer wieder kam es in den nachfolgenden Jahren zu weiteren Querelen, ehe 1958 die Stadt Rheinhausen das gesamte Gelände erwarb und dem Verein mit einen 50jährigen Pachtvertrag dieser Sorgen vorerst enthob.

Die Erfahrungen mit dem totalitären System des Faschismus hatte gelehrt, wie schnell insbesondere die Jugend durch Organisationen und Verbände beeinflusst werden konnte. Vor diesem Hintergrund stand in der unmittelbaren Nachkriegszeit auch der Aufbau eines Sportvereins. Es galt, neben der Ausübung des Sports in der Gemeinschaft auch demokratische und ethische Werte zu vermitteln. Dass diese Aufgabe durchaus wahrgenommen wurde, zeigt die Haltung des verdienstvollen TuRa Vorsitzenden Dr. Julius Sturhahn, der ab 1952 für über zehn Jahre an der Spitze des Vereins stand. Im Juni 1952 richtete Sturhahn in diesem Sinne das Wort an die Mitglieder des Vereins: „Im allgemeinen Wirtschaftsleben kann aber nur konkurrenzfähig bleiben, wer mit Höchstleistungen aufzuwarten hat. So verlangt auch dieser nach wirtschaftlichen Gesetzen angetretene Sport von seinen Jungen, wenn sie sich ihm verschrieben haben, jene technischen und artistischen Höchstleistungen, die von den zahlenden Zuschauern gefordert werden.“ Und er warnte in gleichsam eindringlichen wie auch beeindruckenden Worten davor, ,,daß dieser Geist der technischen und geschäftlichen Auffassung vom Sport nicht in unsere heutige Jugend eindringt, denn die Art der Sportauffassung steht im schärfsten Gegensatz zur kulturellen Aufgabe des Sports.“ Nach seiner Auffassung zählt der Sport „zur Gesamterziehung des jungen Menschen“ und „arbeitet mit der geistigen und musischen Erziehung Hand in Hand.“

Die Aufbaujahre bescherten dem TuRa Bergheim auch eine neue Sportart: Erstmals in der Vereinsgeschichte konnte jetzt im Verein Tischtennis gespielt werden. Neu war dieser Sport in Rheinhausen allerdings nicht: Bereits in den 30er Jahren waren die „Ping-Pong-Clubs“ Grün-Weiß Rheinhausen und Blau-Gold Rheinhausen gegründet worden, die besonders bei der Austragung der Tischtennis-Stadtmeisterschaften miteinander konkurrierten. Trotz des neuen TuRa-Zuwachses dominierte aufgrund der langjährigen Erfahrung Grün-Weiß Rheinhausen auch nach dem Krieg noch viele Jahre in dieser Sportart.

Seinen Anfang nahm die Tischtennis-Abteilung ein wenig abseits vom allgemeinen Sportgeschehen: So fanden sich einige Tischtennisbegeisterte 1948 zunächst im Mühlenberger Hof zusammen. Gespielt wurde auf zusammengestellten Tischen der Gaststätte, die zumindest die Illusion eines „normalen“ Sportgerätes vermittelten. Auf Dauer aber war dies kein tragbarer Zustand, und so knüpfte Emil Ganelhoff Kontakte zu TuRa Bergheim, die schließlich zur Aufnahme beim TuRa Bergheim führten. Jetzt gab es ein „richtiges Spiellokal“ – gespielt wurde im Saal von Behmburg -, „richtige“ Trikots in den Farben Grün und Schwarz, und beinahe auch „richtige“ Tischtennisplatten: So mußte nicht mehr auf einfachen Kneipentischen gespielt werden, da die neuen TuRa-Sportler Spanplatten kauften, diese auf die erforderlichen Maße zurechtschnitten und auf Böcke stellten. Zu den Gründern gehörten neben Emil Gangelhoff unter anderem auch Willi Jansen und Karl Schäfer, der zum ersten Abteilungsleiter gewählt wurde und dieses Amt bis 1958 ausübte. Sehr bald schloß sich der neuen Abteilung auch Günter John an, der heute noch seinen Sport in der Tischtennis-Abteilung des VfL Rheinhausen aktiv betreibt. So recht ernst genommen wurde der Tischtennissport zumindest in den Anfangsjahren noch nicht, was die junge Abteilung in einer Festzeitschrift auch in Versen zum Ausdruck brachte:

„Der Tischtennissport in unserem Land

Das ist wohl weit und breit bekannt,

Steht sehr oft auf verlorenem Posten.

Das zu erklären ist nicht schwer,

Denn er bringt von jeher Für den Hauptverein nur Unkosten.

Das man daher von oben auf uns blickt

Und nicht gerade ist entzückt

Hört man immer wieder.

Ach, Ping Pong hört man hier und dort,

Ist das denn auch schon ein Sport,

Das ist doch was für müde Krieger.“

Vom Domizil Im Saale Behmenburg durften die Tischtennisspieler zwar zur Sporthalle an der Lange Straße umziehen, wurden dort allerdings erst einmal in den Heizungskeller „verbannt“, ehe sie im wahrsten Sinne des Wortes „aufstiegen“ und nach einigen Lehrjahren ihren Sport in der Turnhalle ausüben konnten. 

Der TuRa-Bus landete im Rhein

Nahtlos an die großen Erfolge der 30er Jahre knüpften die Feldhandballer des TuRa Bergheim an. Die erste Herrenmannschaft konnte 1948 im Spiel gegen den amtierenden Deutschen Meister aus Hasse-Winterbeck sogar ein beachtliches 13:13 Unentschieden erzielen. Welchen Stellenwert dieses Remis für die Bergheimer hatte, zeigt auch die „Prämie“, die die Mannschaft aus den Händen des Vorstandes für ihre Leistung entgegennehmen konnte: Alle Spieler wurden mit roten Handballschuhen ausgerüstet – für diese Zeit eine kleine Sensation, wie sich heute noch Torwart Hans Nellen erinnert. Nellen stand für Tura 25 Jahre zwischen den Pfosten und meisterte noch in einem für Sportler fortgeschrittenen Alter den Wechsel vom Feld- zum Hallenhandball. Die Mannschaft spielte bis 1954 in der höchsten Spielklasse. Zwar gelang ihr 1955 der sofortige Wiederaufstieg, aber leider währte der Erfolg nicht lange. Bereits im darauffolgenden Jahr mußte erneut und diesmal endgültig der Weg in die untere Klasse angetreten werden. Daß vieles trotz der herausragenden Leistungen und der großen Erfolge in den Anfangsjahren noch provisorisch war, zeigt eine kleine Episode aus dem Jahre 1948: Zu einem Auswärtsspiel in Meiderich fuhr die Mannschaft mit einem Reisebus, wobei die andere Rheinseite nicht über Brücken erreicht werden konnte – diese waren noch allesamt zerstört-, sondern mit der Fähre in Essenberg. Am rechten Rheinufer dann geschah der Unfall: Durch die Fluten des Hochwassers richtete sich die Fähre beim Anlegemanöver leicht auf, so daß der Bus nach hinten rollte und alle Spieler ihr Heil in der Flucht suchten. Nach dem ersten Schrecken wurden dann die Sporttaschen aus dem halb im Wasser liegenden Bus geborgen, ehe mit vereinten Kräften das Gefährt wieder aus dem Rhein gezogen werden konnte. Nur wenig später eilte die Nachricht durch Bergheim:„TuRa ist abgesoffen!“ Doch glücklicherweise kam niemand zu Schaden, so daß dieser Unfall nicht zum Unglück wurde, sondern als Anekdotein den Reihen der Vereinsmitglieder weitererzählt wurde.

Die Mannschaft, die den Aufstieg 1952 erbrachte.

Handball war vor dem Krieg die Bergheimer Paradesportart, und sie blieb es auch noch nach dem Kriege. Ein wenig darunter zu leiden hatten die Tura- Fußballer, die durch die Erfolge im Handball etwas in den Hintergrund rückten. Doch das große Engagement der begeisterten Fußball-Anhänger, wie W. Waschnewski, Karl Gassmann und Peter Minhorst, wurde schließlich 1952 mit dem Aufstieg der Mannschaft in die Bezirksklasse belohnt.

 

 

 

 

 

 


„Legendäre“ Oktoberfeste und ein neues Standbein: Der TV Oestrum in den 60er Jahren

Ein wenig schienen die Oestrumer Sportler dem ausgefallenen Jubiläum zum 50jährigen Bestehen 1945 noch in den 60er Jahren nachzutrauern, denn in dieser Zeit wurden die Gründungsfeste umso ausgiebiger gefeiert. Oftmals waren es drei Tage, an denen es beim TV Oestrum im Saal des Vereinslokals hoch her ging. Doch bald schon schienen diese Feste wiederum ein Opfer fehlender Räumlichkeiten zu werden, da der Festsaal mittlerweile zu einem Möbellager umgewandelt worden war.

Not macht bekanntlich erfinderisch und so wurde die Idee geboren, ein Festzeit zu errichten, das erstmals zum 65jährigen Bestehen neben der Friedenseiche zu stehen kam, später dann auf dem Sportplatz errichtet wurde. Was damals eher ein Provisorium und Notbehelf war, wurde schon bald zu einer festen Einrichtung. In den kommenden Jahren wurden in den Festzeiten nicht allein Vereinsjubiläen gefeiert, sondern auch – wegen ihrer einzigartigen Atmosphäre – die „legendären“ Oktoberfeste, die seit 1967 durchgeführt wurden. Mit seinen Getränke-, Würstchen-, Schieß- und Wurfbuden sowie mit seinen Kinderkarussels glich das Gelände rund um den alten Sportplatz an der Eichenstraße an diesen turbulenten Tagen weitmehr einem großem Vergnügungsplatz. Im Zelt gab es Tanzabende für die ältere Generation und Beatnachmittage für die Jüngeren, so daß die Oktoberfeste des TV Oestrum den Rang echter Volksfeste besaßen, die weit über den Kreis der Vereinsmitglieder hinaus begeistert angenommen wurden. Zum Rahmenprogramm gehörten auch Handballspiele gegen namhafte Gastvereine sowie turnerische und leichtathletische Darbietungen. Anläßlich des 70jährigen Bestehens, bei dem Bürgermeister Johann Asch herausstellte, daß der älteste Rheinhauser Sportverein viel für die Stadt geleistet habe, konnten zudem die Schlüssel für die neuen Umkleideräume übergeben werden.

Die alten Vereinsfahnen und die Fahne der Turnerjugend werden ins Festzelt getragen.

Diese Feste zeigten, wie tief der traditionsreiche Verein im gesellschaftlichen Leben des Ortsteils verwurzelt war, sie konnten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß bis in die 60er Jahre hinein der TV Oestrum teilweise noch mit der Last der Nachkriegszeit zu kämpfen hatte, insbesondere bei der Herrichtung und Pflege der Platzanlage: „Unser Platz soll schöner werden“, lautete daher auch das Motto des im Verein gegründeten „Arbeitskreises Sportplatzgestaltung“. So errichtete auf der Anlage an der Eichenstraße Oberturnwart Willi Benninghoff eine „Turnecke“, in der ein Reck, ein Schüler- und ein Männerbarren sowie ein Gerüst für Ringe aufgestellt wurde. Im Spätherbst montierte Benninghoff alljährlich die abnehmbaren Teile der Turngeräte ab und bewahrte sie bis zum nächsten Frühjahr in seinem Heizungskeller auf. Überaus mühselig war auch die Instandhaltung der Anlage: 1963 wurden vor Beginn der Schlechtwetterzeit insgesamt 45 Wagenladungen Erde und Asche für die Planierung aufgetragen und von den Mitgliedern verteilt . Nachdem das Training der noch jungen Leichtathletik-Abteilung, die sich nach und nach aus den Turn-Riegen des TV Oestrurn entwickelt hat, vorübergehend aufgrund der schlechten Platzbeschaffenheit ganz eingestellt werden mußte, wurde die 100-Meter-Sprintstrecke um eine weitere Laufbahn erweitert. Somit konnten an der Eichenstraße auch Leichtathletik-Wettkämpfe ausgetragen werden.

Unsere Nachkriegs Handballdamenmannschaft (Foto aus dem Jahr 1948)

Die Erweiterungsarbeiten der Sportanlage mit dem Kuriosum der „Freiluft-Turnecke“ zeigen die Probleme beim TV Oestrum: Der Verein wuchs schneller als die zur Verfügung stehenden Sportstätten. Allein von 1958 bis 1960 stieg die Zahl der Mitglieder von 95 auf 331. Und diese Tendenz hielt auch in den nachfolgenden Jahren unvermindert an. 1962 zählte der TV Oestrum 485 Mitglieder, 1963 waren es schon 519. Einen großen Aufschwung erlebte dank des unermüdlichen Einsatzes der beiden Übungsleiterinnen Inge Zahn und Sonja Schmied in diesen Jahren die Kinderabteilung der Turner. So waren die Kinderturnfeste, zu denen Kinder mit ihren Eltern eingeladen wurden, sehr beliebt und mußten aufgrund der hohen Teilnehmerzahlen in der größeren Friedrich-Brücker-Schule durchgeführt werden. Schon bald reichten die angebotenen Turnstunden nicht mehr aus und so entstanden in der Halle an der Lange Straße Engpässe im Sportbetrieb. Zeitweilig war der Verein Anfang der 60er Jahre gezwungen, Schüler und Schülerinnen abwechselnd nur alle 14 Tage zu betreuen. 100 Kinder waren in den Turnstunden keine Seltenheit. Hinzu kamen unglückliche Entscheidungen der Stadtverwaltung: Ausgerechnet in den Wintermonaten, in denen die Turner ausschließlich auf ihre Halle an der Lange Straße angewiesen waren, wurden 1963 längst fällige Renovierungsarbeiten ausgeführt. Von ein einem „Schildbürgerstreich der Stadt“ war seinerzeit in der Lokalpresse zu lesen. Zwar konnten die Turner auch sportliche Erfolge erzielen, wie beispielsweise Erwin Schackert, der bei den Turnschülern die Stadtmeisterschaft errang, doch rückte hier mehr und mehr der Breitensport in den Vordergrund. Das neu eingeführte „Ehepaareturnen“ sowie das „Turnen für Mutter und Kind“ seien hierfür stellvertretend genannt.

Das berühmte „Wechselbad“ sportlicher Erfolge und Mißerfolge durchschritt die 1. Herren-Handballrnannschaft des TV Oestrurn : Zweimal gelang ihr Ende der 50er bis Mitte der 60er Jahre der Aufstieg in die Landesliga, doch beide Male mußte das Team nach zweijähriger „Landesliga-Luft“ wieder den Weg in die Bezirksliga antreten. Stabilisiert werden konnten die Leistung erst mit dem Oberligaspieler Willi Breuch, der vom Lokalrivalen TuS Rheinhausen nach Oestrurn wechselte und hier als Spielertrainer das Team nunmehr zum dritten Male in die Landesliga führte. Ende der 60er Jahre konnte der TV Oestrurn auch die Früchte seiner überaus intensiven Jugendarbeit ernten: So gelang es der C-Jugend 1969/70, sowohl auf dem Feld als auch in der Halle die Kreis und die Bezirksmeisterschaft nach Oestrum zu holen.

Auf die Plätze – fertig -… unsere LA-Schülerinnen am Startzum 75 m-Lauf (hier im Duisburger Stadion)

Das Erreichen des Endspiels um die Niederrheinmeisterschaft Anfang der 50er Jahre war für die Oestrumer Handballerinnen ein erster sportlicher Höhepunkt, zugleich aber auch ein vorübergehender Abschluß des traditionellen Damenhandballs im Verein. Erst nach mehrjähriger Unterbrechung konnte 1966 erstmals wieder eine Schülerinnenmannschaft gemeldet werden, die den Grundstock für eine erneute Aufbauarbeit darstellte und nur ein Jahr später die Niederrheinmeisterschaft erringen konnte. 1968 folgte dann eine Mannschaft der weiblichen Jugend sowie eine Damenmannschaft. Der Wiederautbau erfolgte gerade noch rechtzeitig, da sich in diesen Jahren der Handballsport in zunehmendem Maße vom Feld in die Halle verlagerte. Dennoch war beim TV Oestrum verlorenes Terrain wiedergutzumachen, wie eines der ersten Freundschaftsspiele der Damenmannschaft zeigte: So unterlagen die Oestrumerinnen 1969 der zweiten Garnitur von TuRa Bergheim mit 5:7. Lange Zeit war die Leichtathletik-Abteilung des TV Oestrurn eine Art „Stiefkind“ des Vereins. Zum einen war hierfür die nur Leichtathleten in den 60er Jahren nicht immer leicht, die ihnen gebührende Anerkennung zu erhalten. Dennoch konnte besonders der Nachwuchs auch hier bei Kreiswaldlaufmeisterschaften, Bahneröffnungskämpfen und Staffeltagen Siege und gute Platzierungen erreichen. Zu den wohl schönsten Erfolgen gehört der Staffelerfolg der Oestrumer Schülerinnen, die sich bei einem Frauen- und Mädchensportfest im Duisburger Wedaustadion sogar gegen die starke Konkurrenz von Bayer Leverkusen und Eintracht Duisburg durchsetzen konnte.

Kniend von links nach rechts: Gerhard Schefels, Willi Schleppers. Stehend: Kurt Buchwald (1. Vorsitzender), Helmut Lagger, Heinz-Wilhelm Euler, Rolf Streit, Oskar Nogly, Hilmar Bauer.

Ende der 60er Jahre bekam der TV Oestrum ein neues sportliches Standbein: Auf Initiative von Kurt Buchwald wurde 1968 eine Tischtennis-Abteilung gegründet, die sich in kürzester Zeit im Verein, aber auch im Moerser Tischtennis-Kreis etablierte. Bereits 1969 konnten zwei Senioren- und zwei Jugendmannschaften angemeldet werden, wobei der ersten Seniorenmannschaft mit 40:0 Punkten souverän der Aufstieg in die 1. Kreisklasse gelang. Und in den Jahren 1969 und 70 trat die noch junge Tischtennis- Abteilung gleich zweimal als Ausrichter der Rheinhauser Stadtmeisterschaften in Erscheinung. Diese rasante Entwicklung ist in erster Linie Kurt Buchwald zu verdanken, der auch für den Gesamtverein alsbald ein wichtiger Mann werden sollte: Der Gründer der Oestrumer Tischtennis-Abteilung wurde 1969 stellvertretender Vorsitzender des TV Oestrum, hatte 1971 als neuer Vereinsvorsitzender wesentlichen Anteil an der Fusion mit TuRa Bergheim und trug sich in die Geschichte des Vereins als erster Vorsitzender des neuen VfL Rheinhausen ein, wovon an anderer Stelle noch ausführlich berichtet wird.

 

 

 

 

 

 


„Durchwachsene“ Jahre bei TuRa Bergheim

Die 60er Jahre bei TuRa Bergheim waren in etwa das, was man aus sportlicher Sicht als „durchwachsen“ bezeichnen kann. Stellvertretend für die wechselvolle Entwicklung des Vereins in dieser Zeit können hierfür die Geschicke der Bergheimer Fußball-Abteilung stehen: Die frühen Erfolgen in den ersten Spielzeiten vor dem zweiten Weltkrieg lagen weit zurück und wiederholten sich nicht mehr.

1954 stieg die 1. Mannschaft in die Kreisklasse ab in der sie in den nachfolgenden Jahren – trotz zum Teil beachtlicher Leistungen – auch verblieb. Zwar stellten die TuRa-Kicker ihre Aufstiegs-Ambitionen mit guten Platzierungen Jahr für Jahr unter Beweis, doch der ganz große Erfolg blieb ihnen verwehrt. Besonders bitter verliefen für TuRa die beiden Spielzeiten in den Jahren 1957 und 1961. So sah es am 12. Mai 1957 im Entscheidungsspiel um den Aufstieg alles nach einem Erfolg der TuRa-Fußballer aus, die zwölf Minuten vor Schluß gegen TuS Rheinberg schon mit 4:2 führten. Doch zum Spielende mußten die Bergheimer noch den Ausgleich hinnehmen und verloren die Begegnung in der anschließenden Verlängerung sogar noch mit 4:5. Auch im Jahr 1961 schien der Aufstieg bereits unter Dach und Fach zu sein. Denn TuRa hatte die Vizemeisterschaft errungen, musste aber aufgrund einer neuen Gruppeneinteilung weiter in der Kreisklasse spielen. Auch die anschließende Verjüngung der Mannschaft brachte nicht den erwünschten Erfolg. 

Was bei den Herrenmannschaften nicht so recht glücken wollte, wurde in gewisser Weise durch den Aufschwung im Nachwuchsbereich wieder ausgeglichen, an dem zunächst Willi Fiedler, später dann Uli Dohmen großen Anteil hatte. Bisweilen kämpften im TuRa-Trikot bis zu neun Jugendmannschaften in den verschiedenen Jugendklassen um Tore und Punkte. Dieser intensiven Jugendarbeit im Fußball, aber auch dem Aufschwung der Jugendturnabteilung, in der unter Leitung von Gertrud Zita allein über 60 Mädchen aktiv waren, ist es zu verdanken, daß die Zahl der TuRa-Mitglieder bis 1963 auf 550 anstieg.

So kann man den Abstieg aus der Bezirksklasse 1955 auch begehen: 1. Fußballmannschaft TuRa Bergheim

Einen der größten Erfolge im Fußballjugendbereich konnte 1967 die A-Jugend unter ihrem damaligen Trainer Heinz Kunath erzielen: In der Niederrheinmeisterschaft errangen sie den zweiten Platz und konnten – da das erstplazierte Team vom VfL Benrath verzichtete – sogar um die Westdeutsche Meisterschaft spielen.

Im Kreis von so renommierten Vereinen wie dem 1. FC Köln und dem Vfl Bochum erreichte der Bergheimer Fußballnachwuchs den beachtlichen dritten Platz. Diese Erfolge machten natürlich die größeren Nachbarvereine auf die jungen Tura-Fußballer aufmerksam, die mit reizvollen Angeboten umworben wurden. Bestes Beispiel hierfür ist Kurt Rettkowski, der einen Profi-Vertrag beim Bundesligisten MSV Duisburg erhielt.

Vergleichbar war auch das Schicksal der Tischtennisabteilung. Zunächst waren die Mannschaften im TI-Kreis Moers organisiert, wechselten aber 1952 – wegen der weitaus kürzeren Anfahrtswege zu den Auswärtsspielen – in den seinerzeit leistungsstärkeren Kreis von Duisburg/ Mülheim. Hierdurch blieb das oberste Ziel der 1. Herrenmannschaft beschränkt auf den Verbleib in der 1. Kreisklasse, zumal talentierte Nachwuchsspieler, die aus der eigenen Jugend hervorgegangen waren, regelmäßig zu den Konkurrenzvereinen der Umgebung wechselten. Zeitweilig mußte in der Tischtennisabteilung das Jugendtraining sogar ganz eingestellt werden. Einen kleinen Erfolg konnte in diesen Jahren allein die 2. Herrenmannschaft verbuchen, die 1957 gleichfalls in die 1. Kreisklasse aufstieg, aber 1962 wieder abstieg. Als endlich Ende der 60er Jahre mit dem Aufstieg in die Bezirksklasse neue Ziele hätten gesteckt werden können, stand die Tischtennis-Abteilung vor dem „Aus“: Nur noch wenige Spieler verblieben bei TuRa Bergheim, mit denen nicht einmal eine einzige Herrenmannschaft aufgestellt werden konnte. So blieb nichts anderes übrig, als den Spielbetrieb einzustellen und die 1948 gegründete Abteilung nach 20 Jahren wieder aufzulösen. Damit gab es bei TuRa Bergheim und beim TV Oestrum parallele Entwicklungen, wenn auch unter anderen Vorzeichen: Denn während der Tischtennissport sich in Bergheim verabschiedete, lebte er in Oestrum zur gleichen Zeit wieder auf. Allerdings waren an der Neugründung beim TV Oestrum keine ehemaligenTuRa-Spieler beteiligt. Sie stießen erst später und vereinzelt zur neuen Oestrumer Abteilung hinzu.

Paradedisziplin beiTuRa war und blieb der Handballsport, wenngleich es auch hier nicht immer rosig aussah. So war zum „Goldjubiläum“ des Vereins 1963 im Duisburger General-Anzeiger zu lesen: ,,Von alter Zeiten Glanz allerdings zehrt noch die Handballabteilung, ehemals Stolz des Vereins. Jedoch – aus lediglich einer einzigen Nachwuchsmannschaft kann man schließlich keine hervorragende erste Mannschaft aufbauen! Aber auch das wird sich hoffentlich ändern!“ Ganz neue Akzente wurden in der Handballabteilung 1955 gesetzt: Nachdem beim TV Oestrum schon in den 30er Jahren der Damenhandballsport regen Zuspruch gefunden hatte, entdeckten nun auch die Bergheimer Sportlerinnen diese Disziplin für sich. Innerhalb weniger Jahre konnten gleich mehrere Damen- und Mädchenmannschaften aufgestellt werden.

Von Beginn an dabei war lnge Gogolla, die nach eigenen Worten aus einer „ganz verrückten Bergheimer Handball-Familie“ stammt. Der Wechsel vom Feld in die Halle bereitete ihr Ende der 60er Jahre zwar keine große Mühe, doch betrachtet sie die Entwicklung des Handballsports, der nach ihrer Einschätzung früher mehr Technik erforderte und heutzutage eher aus Kampf und Athletik besteht, ein wenig mit Wehmut. Ungeachtet zahlreicher Verletzungen blieb sie ihrem Sport bis heute treu und kann im Jahre des 1 00jährigen Vereinsbestehens auf ein persönliches und überaus ungewöhnliches Jubiläum zurückblicken: Seit nunmehr 40 Jahren ist sie bei TuRa Bergheim beziehungsweise beim VfL Rheinhausen aktiv als Spielerin dabei.